Die Hoffungen auf ein besseres Leben
Unsere Vorfahren suchen eine neue Heimat
Der Beginn der Auswanderung, bzw. Abwanderung liegt schon über 250 Jahre zurück. Bereits 1750 setzt eine größere Abwanderungswelle nach dem Niederrhein ein. Kurze Zeit später wenden sich die Auswanderer dem Südosten zu. Die Baschtka und Banat in Ungarn/Serbien und Siebenbürgen in Rumänien waren die bevorzugten Siedlungsgebiete. Dann zieht es die Menschen übers Meer in die Neue Welt nach Nord- und Südamerika.
Die Auswanderungswelle erreicht zwischen 1830–1860 ihren Höhepunkt, klingt dann langsam ab, weil sich die wirtschaftlichen Verhältnisse mit der beginnenden Industrialisierung verbesserten. Aus der Auswanderung wird eine Abwanderung in die Industriezentren.
Die Ursachen der Auswanderung lagen zumeist in den ungünstigen Wirtschaftsverhältnissen der damaligen Zeit, sowie Missernten in Verbindung mit Hungersnöten, Krankheiten und Seuchen. Erbteilungen machten den Grundlagen der Höfe immer mehr zu schaffen. Die häufigen kriegerischen Auseinandersetzungen hatten eine allgemeine Verarmung zur Folge. Es war ein armes karges Leben, dass viele, besonders die bäuerliche Bevölkerung führte. Hohe Steuern, eine starke politische Bedrückung und die unselige Kleinstaaterei (im Landkreis Simmern gab es damals 10 Herren) ließen viele der Heimat den Rücken kehren, um in der Ferne ein neues und hoffentlich besseres Leben zu beginnen. Hinzu kam die religiöse Unterdrückung. Das Bekenntnis der Fürsten mussten auch die Untertanen annehmen. Auch die Furcht vor Strafen bei einem Vergehen bewog manche zur Auswanderung.
Über 1000 Menschen haben in diesen 150 Jahren ihre Heimat im alten Amtsbezirk Kastellaun aufgegeben und sich in anderen Erdteilen eine neue Existenz aufgebaut. Dazu kommt eine hohe Zahl, die in den Jahrzehnten nach 1900 an den Niederrhein abwanderten.
1824 zogen 43 Hunsrücker mit Ochsenwagen nach Oberwesel, mit dem Schiff bis nach Antwerpen und dann über den großen Teich. Am 25. Juli erreichten die ersten Hunsrücker Brasilien. Bei diesen 90-120 Tagen dauernden Überfahrten überlebte oft ¼ der Menschen diese Strapazen nicht. So ist bekannt, dass im Jahre 1827 25 Auswanderer aus dem Kreis bei der Überfahrt von Antwerpen nach Brasilien ums Leben gekommen sind.
Mit dem Ziel, Deutsche auf ihrem Territorium anzusiedeln, stellte die kaiserliche Regierung zwischen 1824 und 1828 in Aussicht, auf Wunsch die Kosten für Überfahrt und Seeproviant zu übernehmen. Es kann jedoch als sicher gelten, daß zu dieser Zeit auch Privatunternehmer im Brasiliengeschäft tätig waren.
Dagegen mußten zur Auswanderung nach Brasilien erheblich mehr Mittel aufgebracht werden, als zu den USA. Die Passage für Erwachsene von Dünkirchen nach Rio de Janeiro kostete 1846, nach Angaben eines Konkurrenzunternehmens 52 Taler, 1852 „mindestens 45 Thaler“. 1857 waren zwischen 58 und 68 Talern und noch 1865 rund 60 Taler zu zahlen.
1828 sollen Hunsrücker Brasilienauswanderer gegenüber einem Beamten an der Mosel erklärt haben:
„Wir Hunsrücker haben zu wenig Land, um uns davon ernähren zu können, auch sonst kein Verdienst. Das Brandholz wird versteigert oder dessen so wenig ausgetheilt, daß wir unsere Kartoffeln roh essen und verfrieren müssen, wenn wir es nicht stehlen; denn zum Kaufen haben wir kein Geld - und dann giebt es Strafen, welche uns vollends ruinieren. So geht es auch mit anderen Gemeindsnutzbarkeiten; sie werden wegen dem Anwuchse der Bürger immer geringer, und haben fast keinen Werth mehr.“
Mit „Gemeindsnutzbarkeiten“ war vermutlich das zu verteilende Gemeindeland gemeint. Möglicherweise hielten die Urbarmachungen von Ödland nicht mit dem Bevölkerungswachstum schritt, zumal die neu kultivierten Flächen nach Angaben des Bürgermeisters zunächst nur geringe Erträge erzielten.
Bis zur Mitte der 1830er Jahre kam eine außergewöhnliche Belastung der Gemeindeetats durch Schulden hinzu, die infolge nicht geleisteter Kontributionszahlungen während der französischen Zeit übrig geblieben waren .
Die Auswandererfamilien des Jahres 1828 hatten hierzu erklärt: „Die Verwalter wollen groß thun, die Gemeindeschulden geschwind bezahlt zu haben [...] und verkaufen vergleichungsweise die Herde Schaafe mit der Wolle, anstatt daß sie nach und nach mit der Wolle bezahlen und die Schaafe behalten würden.“
So wurden in den 1850er Jahren im Zuge der Warnungen vor der Praxis des brasilianischen Halbpachtsystems in den nördlichen Provinzen, ausdrücklich die südlichen Kolonien in der Provinz Rio Grande do Sul als Einwanderungsgebiete empfohlen. Der Landrat in Simmern formulierte den Standpunkt der Obrigkeit in dieser Frage wie folgt:
„Nur im eigenen Interesse derer, die nach Amerika gehen wollen, sind die Behörden verpflichtet davon abzurathen. Denn dem Vaterlande liegt in der Regel nichts daran, die Auswanderer zu behalten. Wer nach Amerika auswandert, muß vorher ausdrücklich auf das hiesige Unterthanen-Recht verzichten und würde nicht wieder aufgenommen werden, wenn er zurückkehren wollte; weil die Zurückkehrenden in der Regel Bettler geworden sind. Möge daher doch jeder sich vollständig zu unterrichten suchen, was er in Amerika zu hoffen hat, ehe er seine hiesigen Verhältnisse für immer verlässt, wenn sie auch nicht ganz so sind, wie er es wünscht.“
1850 schrieb ein Schmiedegeselle: „Die trübe Aussicht in die Zukunft macht ein längeres Bleiben in meiner Heimath für mich unmöglich, und ich glaube, mich in Amerika bei meinem gesunden Körperbau besser und reichlicher ernähren zu können.“
Der erste uns bekannte Woorder Bürger, der am 28. Juni 1827 nach Brasilien auswanderte, ist
Johann Nicolaus Knebel * 02.06.1791 in Roth
mit seiner Frau Anna Katharina geb. Werner *01.12.1790 in Wohnroth
sowie ihren 3 Kindern
Peter *15.12.1821
Maria Elisabeth *28.12.1823
Anna Maria *23.07.1826
Diesen Schritt machte er, obwohl er erst ein Jahr zuvor im Unterdorf ein Haus errichtet hatte. Im Gegensatz zu vielen anderen Brasilienauswanderern mit dem Ziel Rio Grande dol Sul, soll er in der weiter nördlich gelegenen Kolonie Santos angekommen sein. Ob es von ihm so geplant war oder er dort gezwungenermaßen eintraf, ist nicht bekannt. Oft genug lag es an den Widrigkeiten der Schiffspassagen oder auch der Willkür der Kapitäne. Allerdings waren die örtlichen Bedingungen im Gegensatz zu den anderen südlichen Regionen denkbar schlecht. Die Kolonie hat sich nicht entwickelt, vom Verbleib der Familie ist nichts bekannt.
Ein gemeinsamer Urahne mit den heutigen Knebels lässt sich erst mit dem Johann Knebel aus Alterkülz feststellen, der um 1650 verstorben ist. Mit Ehefrau Anna Katharina lässt sich auch eine Verwandtschaft ermitteln. Sie stammte aus Vorewernersch und ist eine Tante von Philipp Werner, dem Erbauer vom Haus Philippse.
In einem Bericht von Ludwig Gall aus Trier, der 1819/20 nach Amerika auswanderte, später aber wieder zurückgekehrt war, heißt es:
„Wer verbürgt es euch, daß ihr in Amerika mehr Verdienst als hier findet? Ach, ihr täuschet euch sehr, wenn ihr glaubet, Amerika sei das Land, wo es keine Noth, wo es kein Elend, wo es keinen Mangel an Auskommen und Verdienst gäbe.
Zwischen 1852 und 1855 wurde fast die Hälfte aller Fortreisenden auf Gemeindekosten transportiert. Der Abschluss von Verträgen war somit Sache der Ortsvorsteher, die zwecks Kostenminimierung ausschließlich Nordamerika als Reiseziel festlegten.
Im Falle einer Familie lautete die Begründung des Bürgermeisters: „Die Gemeinde Wohnroth zählt keine wirklich Arme, so hat der Gemeinderath wohl erwogen, daß die Unterstützungen, welche für die große Familie später nothig werden könnten, die jetzt notirte Summe weit übersteigen dürfte.“ Was also heisst, diese Familie jetzt besser mit Kosten los werden, als später die Soziallasten der Familie tragen zu müssen. Mit dieser Familie ist Friedrich Jacobs gemeint, der am 1852 nach Albany im Bundesstaat New York in die USA auswanderte :
Friedrich Jacobs *09.02.1790 in Wohnroth + 21.03.1874 Grafton Rensselaer NY
mit Ehefrau Maria Katharina geb. Adams *14.12.1793 in Leideneck + 05.01.1869 Grafton Rensselaer NY
und ihren 7 Söhnen mit Familien:
Joh. Friedrich Jacobs *11.03.1814 + 27.06.1887 Grafton Rensselaer NY
mit Ehefrau Anna Kath. * 1818 geb. Martin + 20.11.1883 Grafton Rensselaer NY
und den Kindern
Maria Margarete *05.08.1842 Wohnroth + 08.11.1907 Grafton Rensselaer NY
Anna Katharina *13.01.1849 Wohnroth + unbekannt
weitere 3 Kindern kamen am neuen Wohnort zur Welt.
Peter Jacobs *23.03.1815 + 11.09.1899 Grafton Rensselaer NY
mit Ehefrau NN
Philipp Peter Jacobs *01.03.1819 + 24.08.1900 Grafton Rensselaer NY
mit Ehefrau Anna Marg. * unbekannt in Uhler geb. Pfuhl + unbekannt
und den Kindern
Maria Katharina *15.02.1849 in Wohnroth + unbekannt
Anna Katharina *15.02.1849 in Wohnroth + unbekannt
Henrich Andreas Jacobs * 06.12.1821 + Grafton Rensselaer NY
Johann Adam Jacobs *08.05.1824 + Grafton Rensselaer NY
Franz Adam Jacobs *27.04.1827 + 10.05.1902 Grafton Rensselaer NY
mit Ehefrau NN
Friedrich Wilhelm Jacobs *09.02.1834 + 02.02.1882 Grafton Rensselaer
Von einigen Familienmitgliedern sind keine Sterbedaten in Albany vorhanden. Es könnte sein, dass welche schon auf der Hinreise verstorben sind. Amerikanische Stammbäume der Familie Jacobs geben einen Einblick in das weitere Geschehen. Heute leben noch einige Nachfahren, wobei der Nachname nicht mehr geführt wird.
Die Vorfahren von Friedrich Jacobs stammten aus dem Hause Schnäirersch. Er wohnte mit seiner Familie ab ca. 1810 nebenan in einem Haus, welches wir heute als Junkersch kennen. Diesen Hausnamen konnte es damals aber noch nicht geben, es wohnte bislang keiner namens Junker drin. Nach der Auswanderung übernahm Peter Junker aus dem uns bekannten Haus Prinze (an der Stelle des heutigen Rathauses) das Anwesen von Friedrich Jacobs. Erst jetzt kann es eigentlich Junkersch heißen. Peter Junker ist nachweislich ein Vorfahre von Walter Werner.
Auch Peter III. Schmidt aus Stääs plante 1852 mit seiner Verlobten Juliana Emmel die Ausreise nach den USA. Sie wollten zusammen mit der Familie Jacobs auswandern. Dazu kam es jedoch nicht, gab es eine Verzögerung, war es die Schwangerschaft von Juliana, es ist nicht bekannt. In jedem Falle blieben die Beiden hier, das Kind starb 2 Monate nach der Geburt, Juliana 2 Jahre danach. Mehr zu der Familie ist hier nachzulesen.
Im Übrigen galt schon der als Auswanderer, der dies beantragt hatte. Denn im Mittelpunkt der Verwaltungsgeschäfte stand die Entlassung von Auswanderern aus dem preußischen Staat, nicht deren Abreise. Dies beruht auf der zeitgenössischen juristischen Interpretation, wonach schon derjenige ein „Auswanderer“ war, „der den Entschluß zur Auswanderung gefaßt und irgendwelche die Ausführung dieses Entschlusses vorbereitenden Schritte unternommen hat.“
Zwischen Beantragung und Abreise konnten schon mal Wochen oder Monate vergehen. So gingen beispielsweise 1842 zunächst legal ausgewanderte Personen des Jahres 1846 in die am 19. Oktober des Jahres aufgestellte Statistik ein, obschon zuvor feststand, daß die betreffenden im gleichen Monat wieder zurückkehren würden.
1857 versuchte ein Vater die Auswanderung seines volljährigen, verheirateten Sohnes zu verhindern, indem er die Behörden darum bat, jenem die Genehmigung zu verweigern. Sein zweiter Sohn sei erst 15 Jahre alt und könne ihn noch nicht versorgen: „Mein Sohn Friedrich will mich nun verlassen, wodurch ich einer großen Noth preisgegeben werde.“ Dieser Vater war Peter Steeg (*1805-1875) aus Stääs. Der Landrat stellte daraufhin klar, daß eine Genehmigung erst dann verweigert werden könne, wenn die Notlage bereits eingetreten sei.
Sein Sohn Friedrich Steeg * 06.09.1832 mit Ehefrau Maria Katharina *19.11.1824 geb. Prinz sind dann doch nach Brasilien ausgewandert und wahrscheinlich in Rio Grande dol Sul angekommen. Nachforschungen waren bis jetzt nicht erfolgreich.
Bis 1852 wurden Auswanderern nach Brasilien von der dortigen Regierung ein Stück Land kostenloszur Verfügung gestellt. Wie schwer der Anfang bei vielen war, lässt sich an folgenden Worten ersehen:
Des Ersten Tod, des Zweiten Not, des Dritten Brot.
Von den ungefähr 1,5 Millionen deutschstämmigen Einwohnern in Südbrasilien sind die Hälfte Nachkommen von Hunsrücker Auswanderern. Fast 2 Million sprechen heute noch den Hunsrücker Dialekt, das Riograndenser Hunsrückisch.
1965 besuchte Gustav Ernesto Bauer, ein Nachkomme Hunsrücker Auswanderer, die Heimat seiner Vorfahren. Er nahm auch zusammen mit dem damaligen Landrat Rumetsch an einer Feier zur Aktion Schönes Dorf in Wohnroth teil.
In dem Filmepos "Die andere Heimat" von Edgar Reitz ist die Hunsrücker Geschichte der Auswanderung sehr eindrucksvoll geschildert.
Der 25. Juli 2024 ist der Tag eines besonderen Jubiläums. Vor genau 200 Jahren trafen die ersten Hunsrücker Siedler in Südbrasilien ein. Dieses Ereignis wird in besonderem Maße bedacht. Über viele Monate finden Veranstaltungen statt. Besuche und Gegenbesuche mit den brasilianischen Freunden beleben das Jubiläum. Über viele Jahre haben sich Freundschaften geschlossen, die intensiv gepflegt werden.
Näheres ist zur Zeit hier zu finden:
http://www.brasilienfreunde.de
https://kultursommer.de/veranstaltungen/neuland-200-jahre-auswanderung-nach-brasilien/
Quellenverzeichnis:
Familienchronik von Michael Frauenberger
Auswanderung aus dem Hunsrück von Eric Beres
Dorfchronik Wohnroth