Die Glocke bestimmt(e) den Tagesablauf
... und heute läutet sie auch schon mal zum Feierabendbier
Mit dem Bau des Alten Rathauses 1822 erhielten wir auch eine Glocke im Türmchen. Informationen für die Zeit davor sind nicht bekannt. Morgens rief sie die Menschen zur Arbeit, mittags zum Essen und abends zum Feierabend. In Absprache mit den anderen Dörfern läuteten die Glocken zeitversetzt.
Das Glocken läuten wurde öffentlich versteigert. Berechtigt waren um das Rathaus wohnende Familien. Es wurde eine Summe festgesetzt und nach unten geboten. Zuschlag bekam jener, der am wenigsten für den Dienst haben wollte.
Auch die Schulkinder der 3 oberen Jahrgänge übernahmen mittags um 11:30 das Läuten. Jüngere Kinder durften zum Anlernen mitgehen. So saßen wir oft zu dritt oder viert im Dachstuhl und übten fleißig. Wir bekamen ein richtiges Gefühl zum Schwingen der Glocke, wir konnten es fühlen und uns danach richten. Verschiedenes Läuten signalisierte verschiedene Nachrichten. Einmal kurz läuten war normal, zweimal hieß, aus jedem Hause soll jemand zum Rathaus kommen, es gibt was Neues. In Kriegs- oder Nachkriegszeiten verhieß das nicht immer Gutes. Bei Feueralarm wurde „gestempelt“, was heißt, unregelmäßig läuten, aussetzen und wieder anfangen.
Nach dem Rathausneubau übernahm Willi Marx (Heinze) den Dienst. 1966 wird das Morgenläuten eingestellt, die Urlauber fühlten sich gestört, ihres Schlafes beraubt. Ab 1977 wird mittags auch nicht mehr geläutet, Willi Marx hatte eine feste Anstellung und kann nur noch abends die Glocke in Schwung bringen. Nach 1980 blieb die Glocke stumm, es fand sich kein Glöckner mehr.
Nur noch ein Trauerzug wurde mit dem Glockenklang begleitet. Bevor Wohnroth einen eigenen Friedhof hatte, läutete die Glocke bis zur Gemarkungsgrenze kurz nach dem Birkenhof. Die Glocke verstummte, der Trauerzug hielt kurz inne, dann ging es weiter zum Friedhof nach Bell.
Bei Feierlichkeiten im Gemeindehaus musste der Ortsvorsteher mit einem Schloß das Glockenseil sichern. So mancher kam im feierlichen Überschwang nicht so ohne weiteres am Glockenseil vorbei.
1990 löste ein Elektromotor die Muskelkraft ab. Ein erfahrener Glöckner erkannte jetzt aber am Klang den Unterschied zum gefühlvollen muskulären Umgang mit dem Glockenseil. Trotzdem, hauptsache sie ertönt wieder dreimal am Tag, um 7:30, 11:30 und 17:30. Manchmal aber auch an einem sommerlichen Samstagnachmittag zu ungewohnter Zeit... wenn jemand auf dem Dorfplatz zum Feierabendbier einlädt...
Das Amtsblatt in früherer Zeit
Die Dorfschelle als Sprachrohr der Gemeinde
Für öffentliche Bekanntmachungen kennen wir seit 1972 „Datt Bliedche“ oder auch Amtsblatt genannt. Bis dahin haben wir wichtige Information lautstark vermittelt. Mit der Dorfschelle bewaffnet standen wir an verschiedenen Stellen im Dorf und läuteten so lange, bis drumherum die Fenster aufgingen. Mit lauter Stimme verkündeten wir: „Datt Milichgeld werd hout Owend im Roodes ousbezahlt.“ „Moje werd mit der Gemän gang, Schipp un Besem sin mitsebrenge“, „Dä Innemmer (Steuereintreiber) kimmt moje uff dä Roodes, vun jerem Hous muus sich äner infinne“ und in den schneereichen 50-er Jahren auch mal "Die Stroß noh Krastel is fräi se schäbbe, vun jerem Houshalt hott äner se helfe".
Nun wird die Schelle beim Ortsvorsteher verwahrt und in Ehren gehalten. Nur ab und zu finden sich Gelegenheiten für lautstarke Ausrufe. So wie im Juni 1996 zur Verkündigung einer Niederkunft. Marita und Lothar, unsere Wirtsleute, wurden stolze Großeltern eines strammen Mädchens.